Am 11.11.2022 fand die 4. Hattinger Demokratiekonferenz, diesmal zu den „Chancen und Herausforderungen politischer Partizipation“ statt.
Prof. Dr. Rainer Bovermann, Politikwissenschaftler an der Ruhr-Universität Bochum und bis vor kurzem noch Mitglied im Landtag stellte zunächst verschiedene Formen politischer Teilhabe vor, aber auch die derzeitige Stimmung in der Bevölkerung dar (Foto). An Politik und Verwaltung erfolgte die Mahnung: „Unsere Demokratie steht vor Herausforderungen, manche nennen es auch Krise“. Zwar stehe die weit überwiegende Mehrheit zur Demokratie, mit den demokratischen Verfahren sei aber eine Mehrheit unzufrieden. Vertrauensverlust führe zu Politikverdrossenheit, diesem sei mit mehr Beteiligung entgegenzutreten.
Nach dieser Einführung kam es in drei Arbeitsgruppen zu lebhaften Diskussionen über positive und negative Erfahrungen in Beteiligungsprozessen.
In der ersten Arbeitsgruppe berichteten die Hattinger Holger Wosnitza und Michael Schindler über das „Spannungsfeld von Politik und Verwaltung“ am Beispiel ihrer Initiative „Rettet die Bäume“.
In der zweiten Arbeitsgruppe „BürgerInnenbeteiligung in Kommunen – Vitalisierung der Demokratie zwischen den Wahlen“ stellte Wolfgang Czapracki-Mohnhaupt die Ergebnisse der Bemühungen des Netzwerks in Bezug auf die Entwicklung eines Beteiligungskonzepts für Bochum vor. Der Ankündigungstext hierzu lautete:
„Alle fünf Jahre werden wir gefragt, wer zukünftig die Entscheidungen für uns in unserer Stadt treffen soll. Wir vom Netzwerk wollen aber, dass die Bürger*innen auch zwischen den Wahlen mitreden und ihr Lebensumfeld mitgestalten können.
Wir setzen uns deshalb für frühzeitige und kontinuierliche Information zu städtischen Vorhaben wie z.B. Bauvorhaben, Radwegenetz oder Bäderkonzept ein, die über eine städtische Homepage, aber auch durch analoge Angebote im Stadtteil erfolgen soll. Information allein reicht aber nicht! Echte Bürger*innenbeteiligung lebt nun einmal vom Austausch zwischen Bürgerschaft, Politik und Verwaltung – und zwar als Dialog auf Augenhöhe während des gesamten Planungsprozesses.
Dass Beteiligung, gemeinsames Diskutieren und gemeinsames Suchen nach Lösungen zu guten Ergebnissen führt, zeigt z.B. das große Beteiligungsverfahren für Gerthe-West. Hier wurden viele Grünflächen sowie für die Bürger*innen wichtige Orte erhalten und die Anzahl der geplanten Wohneinheiten halbiert.
Und in Grumme hat sich die dortige Interessengemeinschaft mit einer alternativen Radwegeplanung auf vorhandenen Wegen gegen die von der Stadt favorisierte „Down-Hill-Strecke“ durch einen Wald durchgesetzt.
Beim Bäderkonzept hingegen gab es keine Bürger*innenbeteiligung, statt dessen zermürbende, demotivierende Auseinandersetzungen und viel Politikverdrossenheit.
Wir vom Netzwerk wollen eine breite Debatte mit Politik, Verwaltung und Bürgerschaft anstoßen, in der ein gemeinsamer Vorschlag für Leitlinien entwickelt wird, die Beteiligung zu einer Selbstverständlichkeit bei jedem wichtigen Vorhaben in Bochum machen.“
Pe Sturm, u.a. Mitglied im ADFC-Bochum, Radentscheid Bochum sowie Radwende Bochum berichtete in der dritten Arbeitsgruppe am Beispiel „Radentscheid Bochum“ über seine positiven sowie negativen Erfahrungen in verschiedenen Beteiligungsprozessen in Bochum.
Hattingens Bürgermeister Dirk Glaser, Mitinitiator der Demokratiekonferenz, beließ es nicht dabei, in seinem Grußwort hervorzuheben, dass Demokratie im Alltag nicht ohne Diskussion gehe. Er nahm in der Arbeitsgruppe des Netzwerks die Diskussion mit seinen Hattinger Bürger*innen (Foto) auf und betonte, Initiativen seien nicht „die Bürgerschaft“, das Problem sei, die zu erreichen, die eben nicht zu solchen Veranstaltungen kommen würden. Er vertrat die These, in Hattingen seien die Menschen mit den Beteiligungsmöglichkeiten der repräsentativen Demokratie zufrieden.Dem stand die Einschätzungen aus der anwesenden Bürgerschaft entgegen, Verwaltung und Politik bewegten sich nur unter Druck, Information und Beteiligung müsse frühzeitig und kontinuierlich erfolgen. Es fehle durchweg an Transparenz und Dialog auf Augenhöhe, was zu Vertrauensverlust führe. Dies deckt sich mit Äußerungen, die von Seiten der Bochumer Bürgerschaft immer wieder an das Netzwerk herangetragen werden.
Für die Bochumer Referenten (Foto) war aber neu, dass ein direkt gewählter Kommunalpolitiker an der Verwaltungsspitze Bürgernähe demonstriert, indem er den direkten Dialog gerade mit den Bürger*innen sucht, von denen zu erwarten ist, dass sie mit dem Funktionieren der Demokratie vor Ort nicht zufrieden sind. Die aus der teilnehmenden Bürgerschaft vorgeschlagene Fortsetzung der Diskussion in den Stadtteilen fand schließlich auch die Zustimmung von Bürgermeister Glaser. Hierfür sollen die Stadtteilkonferenzen gestärkt werden, indem sie für weitere Teile der Bürgerschaft vor Ort geöffnet werden.
In Bochum hat das Netzwerk bisher vergeblich gefordert, zunächst einmal an einem von Politik, Verwaltung und Bürgerschaft besetzten „runden Tisch“ mit externer Moderation zu diskutieren, was unter Beteiligung zu verstehen ist. Bochum will zunächst verwaltungs- intern klären, wie Beteiligung auszusehen hat.
Die Verantwortlichen in Hattingen sind da offenbar schon weiter.
Von Hattingen lernen – und einfach mal Bürgernähe zeigen!