Stadtbaurat sollte Wiederwahl für Neuanfang nutzen!

Auf der Tagesordnung für die Sitzung des Rates am 04.05.2023 steht als letzte öffentliche Entscheidung die Wiederwahl von Stadtbaurat Dr. Markus Bradtke. Das wird dem Bochumer Jungen gefallen. Hat er doch nach seiner erstmaligen Wahl 2015 offenbart, für seinen Berufsstand sei es wohl das größte der Gefühle, in der Heimatstadt Baurat zu sein. Nach der Gemeindeordnung kann er seine Wiederwahl nicht ablehnen. Dafür ist die zweite Amtszeit mit einer Höherstufung in der Besoldungsgruppe verbunden.
Offenbar sind Oberbürgermeister Thomas Eiskirch und die SPD-Ratsfraktion mit den Ergebnissen seiner bisherigen Arbeit zufrieden. Der Stimmen des grünen Koalitionspartners kann er sich auch sicher sein. Einerseits gilt Koalitionszwang, andererseits sind die Grünen im Rat ihrem Stadtbaurat gegen Kritik aus Opposition oder Bürgerschaft stets beigesprungen. Schließlich ist er im Dezernat VI nebenbei auch noch für Umwelt und Nachhaltigkeit zuständig – den originären grünen Tätigkeitsfeldern. Die Wiederwahl dürfte also gesichert sein!
Dumm nur, dass die Ratssitzung mit den Fragen des Netzwerks zu der gescheiterten Ansiedlung von Ecosoil in Gerthe starten wird. Hierzu hat Dr. Markus Bradtke stets offensiv vertreten, Ecosoil habe trotz Alleinzuständigkeit der Bezirksregierung Arnsberg für die Betriebsgenehmigung einen Anspruch auf einen bauplanungsrechtlichen Vorbescheid der Stadt. Mittlerweile hat die Stadt den Vorbescheid zurückgenommen. Welche Kosten hat die Stadt nach Rücknahme zu tragen? Die Betriebsgenehmigung hat Arnsberg abgelehnt, weil die verkehrliche Erschließung nicht gesichert ist. Hat das Rechtsamt geprüft, ob der Stadt Schadensersatzansprüche drohen? Die Antworten auf die Fragen dürften auch die Oppositionsparteien im Rat interessieren.
Ob die Wiederwahl wie die Erstwahl einstimmig erfolgen wird? In Witten, von wo Dr. Mar-kus Bradtke 2015 in seine Heimatstadt wechselte, hatten bei seiner dortigen Wiederwahl ein Jahr vorher 14 von 60 Ratsmitgliedern in geheimer Abstimmung gegen ihn gestimmt. Aber in Bochum hat er ja vielleicht Heimvorteil.
Grund zum Feiern werden auf jeden Fall die Investoren haben, die in Bochum nach dem 2017 verabschiedeten „Handlungskonzept Wohnen“ jährlich 800 Wohnungen bevorzugt auf umwelt- und klimarelevanten Freiflächen bauen dürfen. Hat der Stadtbaurat doch bei der Debatte im Planungsausschuss um eine Verdichtung der Bebauung an der Schloßstraße und um den Wirtschaftlichkeitsgrundsatz noch persönlich eingegriffen: Er sei froh, überhaupt Investoren zu finden.
Die zahlreichen Bürgerinitiativen, die seit Jahren versuchen, dem 2019 vom Rat ausgerufenen „Klimanotstand“ in Bauleitplanverfahren ausreichende Beachtung zu verschaffen, dürften die Begeisterung der Investoren hingegen nicht teilen. Bauen und Klima werden in Bochum weiterhin kontrovers gesehen und nicht gemeinsam gedacht. Der vom Netzwerk unter Verweis auf die Praxis anderer Kommunen im Vorfeld von Bauleitplanverfahren geforderte Klimacheck ist immer noch nicht in Aufstellung. Das Ergebnis: Kaltluftbereiche, Frischluftzufuhr und wertvoller Boden werden für teuren Wohnraum und Ein- bzw. Zwei-Familien-Häuser geopfert und Am Ruhrort soll ein natürliches Regenauffangbecken zugeschüttet werden.
Bei Amtsantritt 2015 hat Dr. Markus Bradtke noch erklärt: „Jeder Mensch, der in Bochum wohnen möchte, sollte ein Angebot vorfinden, dass ihm oder ihr gefällt. Das kann ein Eigenheim sein oder eine geförderte Mietwohnung.“ Also bezahlbarer Wohnraum für Alle – das klang doch gut!
Die Realität sieht heute so aus: In Bochum fehlt insbesondere preiswerter Wohnraum – und der entsteht nun mal nicht mit Investoren-Konzepten auf der grünen Wiese. Bis 2032 werden weitere Abgänge von ca. 4.500 geförderten Wohneinheiten prognostiziert. Es müssten also jährlich 450 geförderte Wohnungen neu geschaffen werden, um allein eine Kompensation zu erreichen.
Aufgabe des alten und neuen Stadtbaurats muss es also sein, bei der aktuellen Fortschreibung des „Handlungskonzepts Wohnen“ den preisgebundenen Wohnraum in den Fokus zu nehmen. Bereits heute haben rund 50 Prozent der Bochumer Bevölkerung Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein. Der Anteil preisgebundener Wohnungen am Gesamtwohnungsbestand liegt in Bochum allerdings nur noch bei 6,2 Prozent.
Aber auch in anderen Bereichen sollte sich Dr. Markus Bradtke auf seine Zielvorgaben bei seinem Amtsantritt 2015 besinnen. Damals hat er nämlich auch als ihm wichtig benannt, Stadtentwicklung „im Dialog zu betreiben.“ Entscheidungen müssten transparent sein. „Die Menschen müssen verstehen, was wir tun.“ Die Lokalpresse titelte dann auch gleich: Bochums neuer Baurat sucht den Dialog mit den Bürgern!
Anfang 2019 starteten dann tatsächlich Gespräche mit dem Netzwerk sowie mehreren Initiativen. Und Bochum schaute „über den Tellerrand“: Mitte 2019 wurde u.a. Dirk Lahmann von der Stabsstelle Bürgerbeteiligung der Stadt Bonn zu einem Stadtgespräch im Kunstmuseum eingeladen. Dieser stellte das vom Bonner Rat durch Leitlinien abgesicherte Beteiligungskonzept mit Bürgerbeirat vor. Nicht nur das Netzwerk sah sich auf einem guten Weg hin zu echter Bürgerbeteiligung für Bochum. Schließlich waren doch auch für das Bauvorhaben „Gerthe-West“ gerade erst im Begleitgremium eine Vertreterin der örtlichen Initiativen gesetzt und vier Gerther Bürger*innen zugelost worden.
Doch dann kam Corona – und Dialog und Beteiligung blieben auf der Stecke. Der Ruf nach Transparenz und die Forderung nach Dialog auf Augenhöhe wurden nun als persönliche Angriffe auf den Stadtbaurat oder seine Mitarbeiter*innen abqualifiziert. Nach Kritik seitens des Netzwerks am Prozess für eine „Global Nachhaltige Kommune“ setzte Dr. Markus Bradtke die 2019 aufgenommenen Gespräche mit dem Netzwerk im September 2022 aus. Er hat sie bis heute nicht wieder aufgenommen. Dabei hat gerade dieser Prozess nach anfänglich unterschiedlichen Vorstellungen über das, was Bürgerbeteiligung ausmachen soll, zu einem Dialog zwischen Verwaltung und Bürgerschaft auf Augenhöhe geführt. Das Ergebnis waren gemeinsam entwickelte Ziele und Maßnahmen zur Nachhaltigkeit.
Statt Gespräche gibt es heute Auseinandersetzungen darüber, ob bürgerschaftliche Fragen und Anregungen im Rat überhaupt zugelassen werden (siehe unten). Die Frage, wie Bürgerbeteiligung in Bochum aussehen soll, wird nicht gemeinsam erörtert, sondern zunächst in der Verwaltung nichtöffentlich diskutiert.
Stadtbaurat Dr. Markus Bradtke sollte jetzt den Reset-Knopf drücken. Er sollte seine Wiederwahl für einen Neuanfang in Bochum nutzen, den Dialog mit der Bürgerschaft wieder aufnehmen und Verwaltungshandeln ab sofort für die Bochumer*innen transparent machen. Das Netzwerk würde seinen Teil zu einem Neustart beitragen.

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An das Büro
des Oberbürgermeisters

– gerichtet an Herrn Oberbürgermeister Thomas Eiskirch —

Betr.: Fragestunde im Rat für Einwohner*innen / Sitzung: 30.03.2023

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Eiskirch,

als Einwohner/Einwohnerin der Stadt Bochum – aktiv auch in dem Netzwerk für bürgernahe Stadtentwicklung – stelle ich zur Fragestunde in der Sitzung des Rates der Stadt Bochum am 30.03.2023 fristgemäß folgende Fragen nach § 2a Geschäftsordnung für den Rat, die Ausschüsse und die Bezirksvertretungen:

1. Ist zu den nachfolgend aufgeführten Fragen,

ob die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit der Ansiedlung durch den von der Verwaltung vorgeschlagenen Vorbescheid verbindlich für die Firma Ecosoil festgestellt werden konnte, obwohl die Bezirksregierung Arnsberg für die immissionsschutzrechtliche Genehmigung allein zuständig ist,

ob ein solcher Vorbescheid Schadensersatzansprüche der Firma Ecosoil gegenüber der Stadt Bochum hätte auslösen können, wenn der von der Bezirksvertretung Nord angeregte Bebauungsplan nebst Veränderungs-sperre aufgestellt worden wäre,

von der Bauverwaltung vorher Rechtsrat des Rechtsamtes der Stadt Bochum eingeholt worden und

falls ja, wie war das Ergebnis der juristischen Prüfung durch das Rechtsamt?

2. Wie lautet die gerichtliche Kostenentscheidung des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen und wie hoch sind die von der Stadt Bochum für Gericht und Anwält*innen zu tragenden Kosten, nachdem das Gerichtsverfahren infolge der Rücknahme des Vorbescheids durch die beklagte Stadt Bochum unstreitig erledigt wurde?

3. Ist zu der Frage,

ob der positive bauplanerische Vorbescheid Schadensersatzansprüche der Firma Ecosoil gegenüber der Stadt Bochum auslösen kann, weil die allein zuständige Bezirksregierung Arnsberg die immissionsschutzrechtliche Genehmigung wegen des Fehlens einer verkehrlichen Erschließung
abgelehnt hat, wohingegen deren Vorliegen als Voraussetzung für den Erlass eines Vorbescheids von der Stadt Bochum noch als gegeben angenommen
worden war,

schon Rechtsrat des Rechtsamtes der Stadt Bochum eingeholt worden und

falls ja, wie war das Ergebnis der juristischen Prüfung durch das Rechtsamt?
Hintergrund:
Auf dem Standort des Bodenaufbereitungs-Unternehmens Ecosoil in Riemke sollte 2022 ein Warenverteilzentrum errichtet werden. Die stadteigene WirtschaftsEntwicklungsGesell-schaft Bochum mbH (WEG) hat sich bereits 2019 um eine Verlagerung von Ecosoil innerhalb Bochums auf die ehemalige Betriebsfläche der Firma „Philipine GmbH &CO Dämmstoffsysteme“ in Gerthe bemüht.
Die Ansiedlung von Ecosoil bedarf der Genehmigung nach § 4 Bundesimmissions- schutzgesetz (BlmSchG) durch die Obere Umweltschutzbehörde in Arnsberg. Sämtliche für das Vorhaben erforderliche Genehmigungen – u.a. die Baugenehmigung – werden in einer einheitlichen Genehmigung „konzentriert“ erteilt.
Die Bedeutung der in § 13 BImSchG festgehaltenen sog. „Konzentrationswirkung“ wird in der Gesetzesbegründung so erläutert:
„Sie dient der Verwaltungsvereinfachung, insbesondere der Beschleunigung des Verfahrens; sie verhindert einander widersprechende Entscheidungen der verschiedenen, für die einzelnen Rechtsgebiete zuständigen Behörden; sie gestattet es, die sich aus den verschiedensten rechtlichen Gesichtspunkten an die Anlage zu stellenden Anforderungen in optimaler Weise aufeinander abzustimmen; sie bringt für den Unternehmer größtmögliche Rechtsklarheit und Rechtssicherheit, eine Voraussetzung für eine zügige Planung und Produktionsaufnahme.
Die Genehmigung schließt andere, auf öffentlichrechtliche Vorschriften gestützte Entscheidungen, die Voraussetzung für die Errichtung und den Betrieb der Anlage sind, ein, soweit sich diese auf die Anlage beziehen; insbesondere umfaßt die Genehmigung eine etwa erforderliche Baugenehmigung.“
Dennoch reichte Ecosoil am 31.03.2020 bei der Stadt Bochum zunächst eine isolierte Bauvoranfrage ein.
In einer Vorlage vom 18.05.2021 für Sitzungen des Planungsausschusses, des Haupt- und Finanzausschusses und des Rates – jeweils im Mai 2021 – wird die Verwaltung dieses Vorgehen später so erklären:
„Um das Investitionsrisiko des Unternehmens zu begrenzen, hat die Verwaltung im Vorgriff des eigentlichen Genehmigungsverfahrens nach BImSchG vorgeschlagen, die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens im Wege einer Bauvoranfrage abzuhandeln.“
Als Mitte 2020 die Umzugspläne in Bochum bekannt wurden, hatte sich im angrenzenden Castrop-Rauxel bereits Widerstand in der Bürgerschaft formiert, die dort durch den entstehenden Zielverkehr betroffenen sein würde. Gerther Bürgerinitiativen schlossen sich diesem Protest an. Auch der Rat der Stadt Castrop-Rauxel hat sich gegen eine Ansiedlung ausgesprochen.
Die Verwaltung informierte die Bezirksvertretung Nord und den Planungsausschuss über die Ansiedlungspläne sowie eine bauplanungsrechtliche Bauvoranfrage von Ecosoil erstmals in Juni 2020.
Der entsprechende Tagesordnungspunkt ging der SPD-Fraktion im Bezirk Nord erst einen Tag vor der auf den 09.06.2020 anberaumten Sitzung der Bezirksvertretung zu. Dies war den Fraktions-Mitgliedern zu kurzfristig, um sich mit der Vorlage und deren Tragweite beschäftigen zu können. Die Bezirksvertretung beschloss in der Sitzung einstimmig, die Mitteilung nicht in die Tagesordnung aufzunehmen.
Der Planungsausschuss hingegen nahm die Mitteilung nur zur Kenntnis.
In der Sitzung vom 10.11.2020 beschloss die Bezirksvertretung Nord auf Anregung von SPD und Grünen mehrheitlich, Rat und Planungsausschuss zu bitten, die von Ecosoil geplante Bebauung nicht nach § 35 BauGB zuzulassen und statt dessen einen Bebauungsplan für ein Mischgebiet (Kleingewerbe, Wohnen) aufzustellen. Hierdurch sollten verkehrsintensive Betriebe und solche, die wie Ecosoil eine Genehmigung nach dem BImSchG benötigen würden, an diesem Standort nicht mehr zugelassen werden können. Zur Absicherung wurde um den Beschluss einer Veränderungssperre gebeten.
Ausweislich der Niederschrift war in die Debatte auch eingeführt worden:
„Die Änderung der Ausweisung kann – wie auch der Stadtbaurat zu bedenken gab – zu Schadenersatzansprüchen führen, die derzeit nicht beziffert werden können. Diese sollten aber vor einer Entscheidung bekannt sein.“
Als der breit aufgestellte Widerstand im Bochumer Norden bekannt geworden war, ließ Ecosoil im Dezember 2020 öffentlich verlautbaren, es sei auch ein Umzug von Riemke nach Herne möglich. Im Januar 2021 äußerte der Geschäftsführer gegenüber der Bochumer Lokalpresse seinen Frust über den breit aufgestellten Widerstand in Gerthe. Dennoch werde er die Bauvoranfrage aber weiter vorantreiben.
Im März 2021 wollte die SPD-Nord in einer umfassenden Anfrage zum Stand der Ecosoil-Ansiedlung in der Bezirksvertretung Nord u.a. wissen, wann die Anregung vom 10.11.2020 dem Rat bzw. dem Ausschuss für Planung und Grundstücke vorgelegt werde.
In der Sitzung am 04.05.2021 informierte der Bezirksbürgermeister die Bezirksvertretung darüber, dass die Verwaltung die umfangreiche Anfrage zur Bövinghauser Straße – Neuerrichtung eines Bodenbehandlungsbetriebes – aus März 2021 erst in der Sitzung im Juni 2021 beantworten werde und die Verwaltung beabsichtige, die Bauvoranfrage der Firma Ecosoil positiv zu bescheiden.
Außerdem stellte er fest, dass die Verwaltung die Anregung der Bezirksvertretung Bochum-Nord (Keine weiteren Industrieansiedlungen im Bochumer Norden) vom 10.11.2020 weder einem Ausschuss noch dem Rat vorgelegt hatte!
Auf Antrag der SPD-Fraktion und der Fraktion Die Grünen beschloss die Bezirksvertretung nach Beratung in der Sitzung am 04.05.2021 u.a. einstimmig:
Der Bezirksbürgermeister wird beauftragt, das Verhalten der Verwaltung – im Bereich des Gewerbegebietes Gerthe Nord (früherer Standort der Firma Philippine, lt. RVR-Flächen- nutzungsplan Nr.05 BO Bövinghauser Straße GI-Gelände) – zu rügen.
In der Niederschrift ist als Begründung u.a. festgehalten:
„Die Bezirksvertretung Bochum-Nord hatte am 10.November 2020 angeregt, für das Gelände südlich der Bövinghauser Straße einen Bebauungsplan aufzustellen mit dem Ziel, dort ein Mischgebiet (Kleingewerbe, Wohnen) auszuweisen. Wäre der zuständige Ausschuss für Planung und Grundstücke dieser „Anregung“ gefolgt, hätte die Bauvoranfrage der Firma Ecosoil zurückgestellt werden können, bzw. hätte eine ebenfalls angeregte Veränderungssperre Vorhaben verhindert, die den Zielen des Bebauungsplanes entgegenstehen.
Durch einen positiven Vorbescheid würden nun Fakten geschaffen, die die Aufstellung eines Bebauungsplanes mit anderer Zielsetzung unmöglich machen. Eine nachträgliche Vorlage an den zuständigen Ausschuss ist zwar wünschenswert, aber aufgrund der durch den positiven Vorbescheid geänderten Sachlage ist dem Ausschuss die Möglichkeit genommen worden, sachgerecht über die Anregung der Bezirksvertretung Nord zu entscheiden.“
Für die Sitzungen des Planungsausschusses am 18.05.2021, des Haupt- und Finanzausschusses am 19.05.2021 und des Rates am 27.05.2021 schlug die Bauverwaltung mit Vorlage vom 18.05.2021 vor, der Anregung der Bezirksvertretung Bochum Nord vom 09.11.2020 (gemeint war die vom 10.11.2020) nicht zu folgen.
Die Verwaltung hat in der Vorlage u.a. vorgetragen:
„…. Die Zulässigkeit des Vorhabens richtet sich nach den Vorschriften des Bundesimmissionsschutzgesetzes (BImSchG); Genehmigungsbehörde ist die Bezirksregierung Arnsberg. … es existiert kein Bebauungsplan. …
Im Rahmen des Genehmigungsverfahrens nach BImSchG entscheidet die Stadt Bochum über die planungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens. Im Vorfeld des anstehenden Verfahrens nach dem BImSchG hat die Verwaltung die planungsrechtliche Zulässigkeit im Wege eines Bauvorbescheids geprüft. Danach ist das Vorhaben planungsrechtlich zulässig; die Erschließung ist gesichert. …
…. Die Zulässigkeit des Bauvorhabens ist nach § 4 BimSchG zu beurteilen; zuständige Genehmigungsbehörde ist die Bezirksregierung Arnsberg. Im Rahmen des Genehmigungsverfahrens gem. § 4 BImSchG hat die Bezirksregierung das sog. gemeindliche Einvernehmen gem. § 36 BauGB herzustellen. Dies bedeutet, dass die Stadt Bochum erklärt, ob ein Vorhaben bauplanungsrechtlich zulässig ist. …
… Besonderes Augenmerk lag auf dem Verkehrsgutachten. Das Gutachten lag der Verwaltung in einem ersten Entwurf am 16.07.2020 vor; die Prüfung wurde am 13.04.2021 inhaltlich abgeschlossen. Im Ergebnis ist festzustellen, dass die Erschließung gesichert ist und das vorhandene Straßennetz und die vorhandenen Knotenpunkte ausreichend leistungsfähig und noch mit weiteren Reserven ausgestattet sind. ….
…, steht einem positiven Bauvorbescheid nichts im Weg (§ 77 BauO NRW). Es besteht ein Rechtsanspruch auf die Erteilung, da öffentlich-rechtliche Vorschriften dem Vorhaben nicht entgegenstehen. Vorbehaltlich der gemeindlichen Bauleitplanung handelt es sich um eine gebundene Entscheidung….
… Aufgrund des Ziels der Sicherung bestehender Gewerbe- und Industrieflächen einerseits und der positiven planungsrechtlichen Beurteilung des Bauvorhabens andererseits, sieht die Verwaltung kein Erfordernis für die Aufstellung eines Bebauungsplans. Damit sind folglich auch keine rechtlichen Voraussetzungen für eine Zurückstellung des Bauvorhabens oder den Erlass einer Veränderungssperre vorhanden.“
Planungsausschuss und Hauptausschuss haben die Vorlage ohne Votum weitergeleitet. Der Rat ist mehrheitlich der Beschlussvorlage gefolgt. Nach der Niederschrift hat die Verwaltung in der Sitzung keine Stellungnahme abgegeben.
Der Vorbescheid war zu diesem Zeitpunkt offenbar noch nicht erlassen. Während Sebastian Pewny für die Grünen im Rathaus am 27.05.2021 unter der Überschrift „Bauvorbescheid nicht zu beanstanden – Ansiedlung noch nicht entschieden“ mitteilt, „diese Bauvoranfrage wurde von der Verwaltung Anfang Mai positiv“ beschieden“, hat nach einem WAZ-Online-Bericht vom 28.05.2021 der Ecosoil-Geschäftsführer erklärt, sein „Unternehmen erwartet in der kommenden Woche den positiven Bescheid über seine Bauvoranfrage“.
Der Antrag auf Genehmigung nach § 4 BImSchG durch Ecosoil ist am 27.10.2021 bei der zuständigen Behörde in Arnsberg eingegangen.
Auf Anfrage der CDU-Fraktion in der Sitzung des Rates am 16.12.2021
hat die Verwaltung mit Vorlage vom 06.01.2022 für die Sitzung des Rates am 03.03.2022 u.a. geantwortet:
„Der Vorbescheid wurde beim Verwaltungsgericht Gelsenkirchen durch die Stadt Castrop-Rauxel beklagt; über diese Klage wurde nicht entschieden, da zwischenzeitlich das Genehmigungsverfahren nach § 4 Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG) bei der zuständigen Bezirksregierung Arnsberg eröffnet wurde. Danach wurde das Verfahren durch Rücknahme des Vorbescheides unstreitig erledigt.
Da der Vorbescheid zurückgenommen wurde, wird dieser von der Bezirksregierung Arnsberg nicht mehr bewertet.“
Die Rechtmäßigkeit des Vorbescheides hatte aber bereits Mitte 2021 Rechtsanwältin Anja Baars aus der von der Stadt Castrop-Rauxel mit der Klage beim Verwaltungsgericht beauftragten Kanzlei Hoppenberg geprüft.
Nach einem WAZ-Online-Bericht vom 09.07.2021 ist sie zu dem Ergebnis, gekommen, „dass der Vorbescheid im falschen Verfahren ergangen ist und demzufolge von einer sachlich absolut unzuständigen Behörde erlassen wurde. Das Vorhaben, um dessen Verwirklichung es geht, ist baurechtlich nicht zulassungsfähig, da seine Zulassung nach Immissionsschutzrecht zu erfolgen hat“- und damit durch den Regierungspräsidenten.
Die WAZ berichtete weiter, Stadtbaurat Dr. Markus Bradtke sehe dem Verfahren gelassen entgegen. Die Einlassung der Anwältin Baars kommentiere er mit „Thema verfehlt“. Er wird weiter so zitiert: „Es war klar, dass wir nicht die zulässige Behörde sind. Ecosoil wollte aus planungsrechtlicher Sicht die Zustimmung der Stadt Bochum. Deshalb haben wir uns des Bauvorbescheids bedient.“ Weiter heißt es in dem Bericht: Vielleicht, so räumt er ein, sei die juristische Einschätzung der Kanzlei richtig, doch sei das irrelevant.
Die Verwaltung hatte für die Sitzung der Bezirksvertretung Bochum-Nord am 31.01.2023 einen Beschlussvorschlag vorgelegt, nach dem die Bezirksvertretung der vorgelegten Planung zur „Ertüchtigung und dem Vollausbau eines Teilstücks der Bövinghauser Straße“ zustimmen sollte. In der Vorlage hieß es u.a.:
„Im Rahmen einer Betriebs Umsiedlung ist die Ertüchtigung und der Vollausbau in einem Teilstück der Bövinghauser Straße erforderlich. Im Zuge des Genehmigungsverfahren ist der Nachweis einer angemessenen Verkehrserschließung zu erbringen. Hierzu ist die vorhandene Infrastruktur an die zukünftigen Gegebenheiten und Anforderungen anzupassen. Dies beinhaltet sowohl die Qualität des derzeit nicht ausreichenden Aufbaus der Verkehrsanlagen, als auch eine neue verkehrssichere Führung der nichtmotorisierten Verkehrsteilnehmenden. Radfahrende, Reitende und Zufußgehende sollen auf einem separaten Gehweg im Seitenraum sicher geführt werden. Der Ausbau des Teilstücks der Bövinghauser Straße wird im Rahmen einer Ausbauvereinbarung mit dem Veranlasser geregelt…..
…… Die derzeitige Mischfläche wird aus Verkehrssicherheitsgründen in diesem Abschnitt in ein Trennprinzip umgewandelt. …. Somit ist gewährleistet, dass mit Inbetriebnahme des neu anzusiedelnden Industriebetriebs und dem daraus resultierenden Schwerlastverkehr, die Radfahrenden und Zufußgehenden in diesen Bereich sicher geführt werden. ..“
In der Vorlage vom 18.05.2021 hatte die Verwaltung nur ausgeführt, „dass die Erschließung gesichert ist und das vorhandene Straßennetz und die vorhandenen Knotenpunkte ausreichend leistungsfähig und noch mit weiteren Reserven ausgestattet sind.“ Die Sicherheit von Radfahrenden und Zufußgehenden war dort bei der Frage der Sicherung der Verkehrserschließung offenbar noch nicht problematisiert worden.
Mit Presseerklärung vom 24.01.2023 hat Ecosoil mitgeteilt, dass die Bezirksregierung Arnsberg den Antrag auf Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung abgelehnt hat. Die Ablehnung werde mit nicht entsprechender Erschließung begründet.
ECOSOIL-Geschäftsführer Dr. Hans-Hermann Hüttemann hierzu: „Nach mittlerweile 1,5 Jahren Verfahrensprüfzeit wird diese Entscheidung mit großer Verwunderung aufgenommen“. Die Bezirksregierung sei vom ersten Tag an mit an Bord gewesen und habe alle Schritte begleitet.
ECOSOIL habe alle erforderlichen Gutachten erstellt und habe damit alle Auflagen für die Recyclinganlage auf dem Platz erfüllt. ECOSOIL habe darüber hinaus zur Verbesserung der gegebenen Erschließungssituation Verhandlungen sowie Planungen und Kostenschätzungen zum Ausbau der Bövinghauser Straße mit der Stadt Bochum geführt, die kurz vor dem Abschluss stünden. Rouven Beeck, Geschäftsführer der Bochum Wirtschaftsentwicklung wird in der Presseerklärung so zitiert: „Ich finde es sehr bedauerlich, dass es an dieser Stelle offensichtlich nicht gelingt, ein für die Entwicklung des Standortes Bochum wichtiges Unternehmen dauerhaft an einen zukunftsfähigen Standort zu verlagern“, und „Die Sanierung von Brachflächen ist nicht nur in Bochum, sondern im gesamten Ruhrgebiet das Thema der Zukunft. Alle wollen das, die sich daraus ergebenden Notwendigkeiten will man aber offenbar nicht.“
ECOSOIL kündigte in der Presseerklärung weiter an, in den kommenden Tagen – gemeinsam mit der Stadt Bochum – alle Optionen zu prüfen, um auf diesen Bescheid zu reagieren.
Nach einem Online-Bericht der WAZ-Bochum vom 24.01.2023 hat Anna Carla Springob aus der Pressestelle der Bezirksregierung auf Anfrage bestätigt: „Wir haben die Betriebsgenehmigung nicht erteilt, weil die verkehrliche Erschließung nicht gegeben ist“.
Stadtbaurat Dr. Markus Bradtke wird in dem WAZ-Bericht hierzu so zitiert: „Ich bedauere die Entscheidung der Bezirksregierung sehr. Rechtlich können wir sie nicht bewerten.“
Die Verwaltung hat nach der Ablehnung aus Arnsberg ihre Vorlage für die Bezirks- vertretung Nord zur Ertüchtigung der Bövinghauser Straße unmittelbar vor dem Ecosoil-Betriebsgelände zurückgezogen.
Mit Presseerklärung vom 15.02.2023 hat Ecosoil mitgeteilt, Klage beim Oberverwaltungsgericht Münster gegen den ablehnenden Bescheid aus Arnsberg eingelegt zu haben, weil diese Anlage für das Unternehmen und seinen Geschäftszweck notwendig und selbstverständlich sei.
Es wird nochmals wiederholt, alle immissionsschutzrechtlichen Auflagen für die Recyclinganlage auf dem Betriebsgelände seien erfüllt – belegt durch alle erforderlichen Gutachten – und darüber hinaus habe es zur Verbesserung der gegebenen Erschließungssituation Verhandlungen sowie Planungen und Kostenschätzungen zum Ausbau der Bövinghauser Straße mit der Stadt Bochum gegeben, die kurz vor dem Abschluss stünden. Allein die Stadt Castrop-Rauxel habe diese Verhandlungen abgelehnt. Als einheimisches Unternehmen suche ECOSOIL Nord-West GmbH seit Ende 2019 gemeinsam mit der WirtschaftsEntwicklungsGesellschaft Bochum einen geeigneten Standort in Bochum. Empfohlen worden sei der ehemalige Unternehmenssitz der Philippine GmbH & Co. Dämmstoffsysteme KG.
In der Pressemitteilung werden die zur Genehmigung in Arnsberg angemeldeten Verkehrsbewegungen mit maximal 200 täglich benannt.
Nach einem Online-Bericht der WAZ-Bochum vom 15.02.2023 hat Ecosoil-Geschäftsführer Hans-Hermann Hüttemann erklärt, mit einer Bodenaufbereitungsanlage lasse sich ein Jahresumsatz von sechs bis sieben Millionen Euro erzielen. Dies bliebe vorerst aus. Und das voraussichtlich auch mindestens in den nächsten ein bis zwei Jahren, so lange könne das Verfahren vor dem OVG dauern. Schon jetzt habe das Unternehmen erhebliche Investitionen in den neuen Standort in Gerthe vorgenommen. „Und das nicht leichtfertig“, wird der Geschäftsführer im WAZ-Bericht zitiert. Schließlich sei die Bauvoranfrage bei der Stadt Bochum für den Betrieb der Anlage positiv beschieden worden.