In seiner Antrittsrede im November 2020 sprach Oberbürgermeister Thomas Eiskirch noch davon, Beschäftigte der Stadt würden die Erfahrung machen, dass Bürgerbeteiligung richtig Spaß machen und die Arbeit bereichern könne, und dass mit den Angeboten zur Bürgerbeteiligung ein ganz entscheidender Beitrag zum Zusammenhalt unserer Stadtgesellschaft geleistet würde.
Wie viel Spaß die Verwaltung an Bürgerbeteiligung tatsächlich hat, wurde dann am vergangenen Samstag zum Abschluss der Planungswerkstatt für „Gerthe-West“ deutlich.
Engagiert und meinungsfreudig
Über fünfeinhalb Stunden hatten sich ca. 70 Bürger*innen in Plenum und Arbeitsgruppen an der digitalen Diskussion über die Entwürfe für die Bebauung in Gerthe beteiligt, sachkundig, engagiert, meinungsfreudig.
Obwohl zu Beginn als Instrument erläutert, konnte eine nachdrücklich gewünschte Umfrage zur Priorisierung der Entwürfe „aus technischen Gründen“‘ am Ende doch nicht umgesetzt werden. Aus den Wortbeiträgen und Eintragungen ging aber eindeutige Sympathie für den Entwurf der Landschaftsarchitekten RMPSL.LA hervor, hatten die Planer doch wichtige Fragen aufgenommen, die den Gerther*innen erkennbar aus der 1. Entwurfspräsentation im Dezember 2020 am Herzen liegen.
Krönender Abschluss
Anders als Bürgerschaft und Planerbüros hatte die Verwaltung eine Beteiligung nicht für erforderlich gehalten. Immerhin hatte Stadtbaurat Dr. Markus Bradtke ab Mittag noch ein bisschen Zeit für das vom Rat beschlossene Vorzeigeprojekt in Sachen Bürgerbeteiligung gefunden.
Aufgrund der deutlich kritischen Beiträge im Gespräch bzw. im Chat sowie der entschiedenen Positionierung gegen die beiden Entwürfe, die den von der Verwaltung gewünschten Bebauungsumfang von 800 Wohneinheiten realisieren, sah er sich offenbar genötigt, den erstaunten Bürger*innen in seinem Schlusswort nochmal zu erläutern, wie Bürgerbeteiligung in Bochum auszusehen hat, damit sie der Verwaltung Spaß macht:
Es sei eine grundlegend falsche Auffassung, dass die Bürgerschaft irgendetwas zu entscheiden hätte, sie könnte sich gern informieren, Fragen stellen, Meinungen abgeben, dann müsse es aber auch gut sein! Und ob die Planungsbüros die Wünsche berücksichtigen, sei allein diesen überlassen. Ohnehin befände man sich weit vor dem förmlichen Bebauungsplanverfahren, in dem es wiederum eigene Bürgerbeteiligungsmöglichkeiten geben würde bis hin letztlich auch zur Klage gegen einen solchen Plan, wenn er denn als Satzung beschlossen werden sollte.
Klageweg als Bürgerbeteiligung – oder wie sollten die Angesprochenen das verstehen?
Zurück blieb eine teils verwirrte, insgesamt aber brüskierte Bürgerschaft, die auf den Affront nicht einmal antworten durfte. Ein Beitrag zum Zusammenhalt der Stadtgesellschaft war das nicht!
Das unschöne Ende macht eins ganz deutlich:
Bürgerschaft, Verwaltung und Politik in Bochum haben vollkommen unterschiedliche Vorstellungen von dem, was Beteiligung sein soll. Verwaltung und Politik wollen informieren und Stellungnahmen aus der Bürgerschaft entgegennehmen – dann aber einfach weiter planen und entscheiden lassen. Die Bürgerschaft will ernst genommen werden und in einen Dialog mit Planungs- und Gutachterbüros treten – dazu gehört auch, sich für diejenige Variante von mehreren auszusprechen, in der sie ihre Wünsche erkennbar berücksichtigt sieht.
Das Netzwerk stellt klar:
Selbstverständlich entscheidet der Rat über das Bauvorhaben Gerthe-West.
Aber genauso selbstverständlich darf sich Bürgerbeteiligung nicht auf Information, Fragen stellen und Meinungskärtchen beschränken. Echte Beteiligung heißt Austausch, ambitioniertes Ringen um die beste Lösung mit dem Ergebnis, zu einer konsensualen Empfehlung zu kommen.
Solange sich nicht alle darauf geeinigt haben, was in Bochum unter Beteiligung zu verstehen ist, bleibt der Weg zur gemeinsamen Erarbeitung eines Beteiligungskonzepts versperrt.
Wie kann es trotzdem weitergehen?
Das Netzwerk für bürgernahe Stadtentwicklung fordert den Rat der Stadt Bochum auf, der Verwaltung umgehend aufzugeben, ein bereits mit der Aufstellung von Beteiligungskonzepten in anderen Städten vertrautes Moderationsbüro zu beauftragen, zunächst ein Konzept für einen Workshop zu erstellen, in dem Politik, Verwaltung und Bürgerschaft gemeinsam erarbeiten, wie Beteiligung aussehen muss, die für alle Beteiligten Vorteile – und nebenbei auch Spaß – bringen kann.
Das Netzwerk befürchtet, dass ohne eine solche gemeinsame Grundlage für die Erarbeitung eines Beteiligungskonzepts die Gespräche der letzten zwei Jahre zwischen Verwaltung und Initiativen sowie dem Netzwerk scheitern könnten – und die von den Vorhaben Betroffenen nicht länger auf Beteiligung an der Planung setzen, sondern zukünftig von vornherein nur noch den vom Stadtbaurat angesprochenen Klageweg im Auge haben könnten. Dies will das Netzwerk aber gerade nicht – und dies kann auch nicht im Interesse der Verwaltung und der Politik sein.