Mit Pressemitteilung vom 20.04.2020 hat die Verwaltung angekündigt, dass
„aufgrund der derzeitigen, besonderen Lage die kommende Sitzung des Stadtrates im RuhrCongress stattfindet.“ Der alternative Sitzungsort soll vor allem auch deshalb gewählt worden sein, weil im RuhrCongress bei Einhaltung der Sicherheitsabstände für die interessierten Bürgerinnen und Bürger mindestens genauso viele Besucherplätze angeboten werden könnten, wie zu „normalen“ Zeiten im Ratssaal.
Das klingt nach Bürgernähe – und das in Corona-Zeiten, in denen bisher die vorab in den Fraktionen und Parteien unter Ausschluss der Öffentlichkeit erfolgte Entscheidungsbildung von den in den notbesetzten Gremien auftretenden Mitgliedern nur noch bekannt gegeben wurden. Das erinnert schon fast wieder an den Appell des Oberbürgermeisters zum Jahreswechsel, mehr Demokratie durch mehr Bürgerbeteiligung zu wagen.
Leider fehlt der Hinweis, dass der Rat am 30.04.2020 nur in halber Besetzung tagen soll.
Erfolgte die Verlegung vielleicht doch nur, um die Beschlussfähigkeit des Rates herbeizuführen?
Nach der Gemeindeordnung NRW (§ 49 GO NRW) ist der Rat beschlussfähig, wenn mehr als die Hälfte der Mitglieder anwesend ist. Diese Zahl würde mit dem Oberbürgermeister als weiteres Mitglied des Rates erreicht.
Flucht in den RuhrCongress also doch eher zur Schaffung von Rechtssicherheit als zur Herstellung von Bürgernähe?
Darauf deutet bereits die vor 2 Wochen auf Vorschlag der Vorsitzenden im – damals in beschlussunfähiger Notbesetzung tagenden – Planungsausschuss einvernehmlich getroffene Einigung hin, die in eigener Zuständigkeit zu den Bebauungsplänen Schloßstraße, Edeka-Weitmar und Lewackerstraße zu treffenden Entscheidungen „aus Gründen der Rechtssicherheit in den Teil „Beschlussvorschläge für den Rat“ zu verlagern“.
Erst hierdurch ist der nun in beschlussfähiger Stärke geplante Rat zuständig geworden.
Das Netzwerk ist gespannt, ob Oberbürgermeister und Rat am 30.04.2020 die angekündigte Bürgernähe dennoch in die Tat umsetzen werden.
Um dies festzustellen, sind für die Sitzung zunächst Reden zu Eingaben nach § 24 GO NRW geplant.
Die „Initiative Schloßpark“ ist mit ihrem Antrag in der letzten Woche im Hauptausschuss zunächst gescheitert. Die Eingabe wurde ohne Behandlung als Einwendung in das Bauplanungsverfahren als besonderes Verfahren verwiesen.
Die „Bürgergemeinschaft Weitmar-Mark-Stiepel“ hat nun zum dortigen Edeka-Neubau mit einer Eingabe zur Ratssitzung nachgelegt. Hiermit wird sich der Rat befassen müssen.
Denn Gegenstand und Ziel der Anregung ist eine Beteiligung, die über die nach dem BauGB vorgesehene hinausgeht. Angestrebt wird damit eine Beteiligung, die außerhalb des B-Plan-Verfahrens liegt.
Oberbürgermeister und Rat wären also gut beraten, sich auch mit der Eingabe zur Schloßstraße zu befassen und den Antragsteller – wie in der Hauptsatzung vorgesehen – im Rat reden zu lassen.
Doch damit nicht genug!
In Corona-Zeiten ist Initiativen die Möglichkeit genommen, den Ratsmitgliedern Meinungen durch einfaches Aushändigen von Flugblättern mitzuteilen. Deshalb soll in der Sitzung Meinungsäußerung über Plakate erfolgen, ohne aber dadurch die Sitzung zu stören.
Die Älteren erinnern sich sicher noch an Sitzungen im Bochumer Rathaus u.a. im Kommunalwahlkampf 1999, die nicht nur durch Reden von Initiativen im Ratssaal bereichert, sondern auch von Spruchbändern und Plakaten auf der Empore begleitet wurden. Leider ist diese gute alte Bochumer Tradition zwischenzeitlich eingeschlafen.
In Corona-Zeiten – wenn Initiativen zur Verringerung der Ansteckungsgefahr auf Flugblätter verzichten – muss diese Tradition aber wieder aufleben dürfen. Nach der „Geschäftsordnung für den Rat der Stadt Bochum“ sind Plakate, Schilder etc. schließlich nicht verboten. Einschreiten kann der Oberbürgermeister erst, wenn Zuhörer*innen sich „ungebührlich verhalten oder sonst die Ordnung und die Würde des Hauses verletzen.“
Der Umgang mit dem Rederecht bei Eingaben nach § 24 GO NRW und die Zulassung von Meinungsäußerungen im Ratssaal durch Plakate etc. werden zeigen, ob die angekündigte Bürgernähe auch tatsächlich im Ratssaal Einzug halten wird – oder ob es sich nur um ein leeres Versprechen gehandelt hat.
Wahre Bürgernähe zieht aber erst dann in den Rat ein, wenn die Planverfahren für die in der Bürgerschaft umstrittenen Bauvorhaben in Corona-Zeiten nicht einfach ohne Bürgerbeteiligung durchgewunken, sondern – wie auch das Netzwerk fordert – ausgesetzt werden.
Keine Planung und keine Politik ohne die Bochumer Bürgerinnen und Bürger!