Seit mehr als einer Woche kritisiert das Netzwerk für bürgernahe Stadtentwicklung Bochums „Politik auf Sparflamme“, bei der trotz Ausbreitung von COVID-19 sämtliche bereits terminierte Sitzungen der kommunalen Gremien mit ungekürzten Tagesordnungen unabhängig von der Eilbedürftigkeit der einzelnen Themen in „Notstands-Gremien“ durchgeführt werden. Jede Fraktion oder Partei ist hier nur durch ein Mitglied vertreten. Vorab findet die Meinungsbildung in den Fraktionen und Parteien unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Im Gremium selbst kann die Öffentlichkeit dann selbstverständlich nur soweit zugelassen werden, wie dies unter Einhaltung notwendiger Sicherheitsabstände möglich ist. Diese Bochumer Politik für Corona-Zeiten ist im Ältestenrat fraktions- und parteiübergreifend mit dem Ziel der Aufrechterhaltung der kommunalen Handlungsfähigkeit vereinbart worden.
Das Netzwerk hat seine Kritik u.a. bereits mit einem Erlass des Justizministeriums NRW begründet, nach dem an den Gerichten zur Aufrechterhaltung rechtsstaatlicher Verfahrensgrundsätze bei gleichzeitiger Minimierung der Ansteckungsgefahr nur noch Sachen verhandelt werden sollen, die keinen Aufschub dulden.
Während ringsum im Ruhrgebiet – und darüber hinaus landesweit – Kommunen und Kreise Sitzungen aussetzen, bereits terminierte Sitzungen absagen und unaufschiebbare Maßnahmen mit Dringlichkeitsentscheidungen auf den hierfür durch die Gemeindeordnung NRW vorgegebenen Wegen einleiten, will Bochum die Corona-Krise weiterhin in „Notstands-Gremien“ aussitzen.
Gestern tagte der Planungsausschuss, heute der Kulturausschuss und morgen sollen sich die Bezirksvertretung Mitte und der Umweltausschuss jeweils mit weit weniger als der Hälfte der ordentlichen Mitglieder zusammensetzen. Bis Mitte April sind Sitzungen im Mobilitäts-, Strukturentwicklungs- und Beteiligungsausschuss sowie in der Bezirksvertretung Ost angesetzt.
Das Netzwerk ist nun in seiner Kritik durch das Ministerium für Kommunales NRW bestätigt worden. In „Hinweisen zu aktuellen Verfahren und Vorgehensweisen im Zeitraum der Ausbreitung von COVID-19“ vom 21.03.2020 empfiehlt das Ministerium (https://www.mhkbg.nrw/coronavirus), „Rats- und Ausschusssitzungen (oder vergleichbarer Gremien) in den nächsten Wochen auf das absolut notwendige Mindestmaß zu reduzieren und die Behandlung nicht eilbedürftiger oder nicht fristgebundener Tagesordnungspunkte möglichst zu vertagen“.
Nur für Präsenz-Sitzungen, die aus dringlichem Anlass nicht verschoben werden können und mit eilbedürftigen oder fristgebundenen Tagesordnungspunkten durchgeführt werden sollen, hält das Ministerium es aufgrund der bestehenden Herausforderungen durch eine weitere Ausbreitung von COVID-19 für unbedenklich, wenn diese Sitzungen nach vereinzelt zwischen den Fraktionen, Gruppen und Ratsmitgliedern sowie Verwaltungen getroffenen Absprachen über Mitgliederzahl und Beschlussfähigkeit abgewickelt werden.
Die Durchführung der gestrigen Sitzung des Planungsausschusses ist ebenso wenig wie die letzte Woche durchgeführte Sitzung der Bezirksvertretung Süd-West mit diesen Empfehlungen vereinbar.
Im Planungsausschuss ist die Tagesordnung vollständig abgearbeitet worden. Eine Reduzierung auf Themen, die keinen Aufschub dulden, ist nicht erfolgt. Sämtliche Beschlussvorschläge, Anträge, Mitteilungen sind behandelt worden, ohne dass deren Eilbedürftigkeit erkennbar oder erläutert worden wäre. Die Tatsache, dass die in eigener Entscheidungsbefugnis stehenden Beschlüsse in Bauplanungsverfahren nicht entschieden, sondern als Beschlussvorschläge für den Rat nur vorberaten worden sind, spricht gerade gegen eine Unaufschiebbarkeit. Dies könnte aber auch ein Indiz dafür sein, dass sich Politik und Verwaltung bezüglich der Rechtmäßigkeit der im Ältestenrat getroffenen Vereinbarung doch nicht so sicher sind.
Auch die Tagesordnungen der bereits terminierten Sitzungen weiterer Gremien unterscheiden sich weder im Umfang noch in der Bedeutung der Sachthemen von den Tagesordnungen früherer Sitzungen. Sie weisen Themen auf, die auch noch Wochen später behandelt werden könnten, ohne dass die kommunale Handlungsfähigkeit in Gefahr geraten würde.
Die Bochumer Verfahrensweise provoziert unnötige Zusammenkünfte Ehrenamtlicher, was in der aktuellen Situation gerade nicht zur Verminderung der Ansteckungsgefahr beiträgt. Die Öffentlichkeit in den Sitzungen selbst wird einerseits durch erforderliche Kapazitätsbeschränkungen zur Minderung der Ansteckungsgefahr und andererseits durch die soziale Kontaktsperre, die sich große Teile der Bevölkerung in der aktuellen Situation selbst auferlegt haben, erheblich eingeschränkt.
Zudem leidet insbesondere auch die Transparenz der Entscheidungen, wenn die Themen in Fraktionen und Parteien unter Ausschluss der Öffentlichkeit abschließend beraten werden und die Abstimmung in ohnehin schon beschränkt öffentlichen Sitzungen erfolgt, in denen die an der Sitzung teilnehmenden Mitglieder jeweils nur die bereits festgelegten Stimmen abgeben.
Entscheidungen kommunaler Gremien gehören auch in Notzeiten nicht in die Hinterzimmer.
Das Netzwerk appelliert an Politik und Stadtverwaltung, die Hinweise zu aktuellen Verfahren und Vorgehensweisen des Ministeriums für Kommunales NRW umgehend umzusetzen!